Jeder redet von Biodiversität. Was ist das eigentlich? Mit wenigen Fragen und Antworten hat man schnell eine Übersicht.
Was heisst Biodiversität?
Der Begriff Biodiversität steht für die Vielfalt der Lebewesen auf drei Ebenen: Es geht um vielfältige Lebensräume, in denen möglichst viele Arten mit einer grossen genetischen Bandbreite leben.
Welche Lebensräume gibt es?
Zu den Lebensräumen gehören zum Beispiel Wälder, Gewässer, die Ufer- und Feuchtgebiete, die Feldkulturen (Ackerflächen) oder das Grünland. Diese Lebensräume lassen sich in unterschiedlichste Typen unterteilen, die sich wiederum durch das Vorkommen bestimmter Pflanzen- und Tierarten auszeichnen. Jeder Lebensraum hat also seine eigene Artenvielfalt. Jede Art hat ihre Aufgabe im System.
Warum ist die genetische Vielfalt wichtig?
Die genetische Vielfalt ist die Grundlage für das langfristige Überleben einer Population. Sie ermöglicht es, mit Veränderungen wie neuen Krankheiten, Schädlingen oder dem Klimawandel klarzukommen und sich entsprechend anzupassen. Denn es gibt immer Individuen, die damit besser zurechtkommen – diese vermehren sich stärker und geben so diese Eigenschaften weiter. Die Vielfalt zu erhalten, ist deshalb auch eine Form der Zukunftsabsicherung.
Was heisst Biodiversität für den Kulturraum?
Artenvielfalt und genetische Vielfalt sind auch in Bezug auf Kulturpflanzen relevant: Es braucht verschiedene Arten und Sorten (genetische Vielfalt), um für spezielle Bedingungen oder neue Herausforderungen gewappnet zu sein.
Was ist funktionale Biodiversität?
Das Zusammenspiel von Arten, Sorten oder Rassen in den Lebensräumen nennt man funktionale Biodiversität: Bienen bestäuben Blüten und sorgen damit für die Fruchtbildung und Ernte. Nützlinge vertilgen Schädlinge und verhindern so Schäden. Hecken oder Bäume verbessern durch ihre Durchwurzelung das Wasserrückhaltevermögen des Bodens.
Welchen Stellenwert hat die Bestäubung?
Bestäubung ist für unsere Nahrung zentral: Weltweit sind 75 Prozent der wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen und 35 Prozent des Ertrags von der Bestäubung durch Insekten abhängig oder profitieren von ihnen. Auch in der Schweiz ist die Bestäubungsleistung «unbezahlbar», denn geschätzt wird sie auf 205 bis 479 Millionen Franken pro Jahr L08.
Und die Landwirtschaft?
Ohne Landwirtschaft bestünde die Schweiz vor allem aus Wald. Weil die Bewirtschaftung Flächen offenhält und der Verbuschung entgegenwirkt, gibt es für Pflanzen und Tiere eine grössere Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen. Die Landwirtschaft bietet ausserdem über Biodiversitätsförderflächen Lebensräume für besonders gefährdete Arten.
Auf der anderen Seite hat die Landwirtschaft – wie alles menschliche Wirken – einen Einfluss auf die biologische Vielfalt. Hier geht es darum, diesen möglichst gering zu halten. Dazu gehört eine bodenschonende Bewirtschaftung, um eine gute Bodenstruktur und damit Lebensraum für Würmer und andere Bewohner des Erdreichs zu erhalten.
Bei der Grünlandbewirtschaftung hilft der gezielte Einsatz des Mähaufbereiters, Bienen und andere Insekten zu schonen. Weiter ist der Pflanzenschutzmitteleinsatz durch vorbeugende Massnahmen zu minimieren und wo immer möglich möglichst oft auf biologische Mittel zurückzugreifen. Und schliesslich sind unnötige Nährstoffverluste zu vermeiden.
Gibt es Zielkonflikte?
Ja! Boden ist hart umkämpft. Soll man auf einer Fläche die Biodiversität fördern, Lebensmittel produzieren oder kann man auch beides? Auch Industrie, Siedlungs- und Infrastrukturbau benötigen Boden. Deshalb steigt der Druck auf den verbleibenden Ackerflächen.
Um ihre Kulturen und damit unser Essen zu schützen, kommen Landwirte trotz vorbeugenden Massnahmen nicht immer ohne Pflanzenschutzmittel aus. Um die mit der Ernte entzogenen Nährstoffe im Boden zu ersetzen, brauchen sie Dünger. Sowohl Pflanzenschutzmittel wie auch Dünger können negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben.
Gibt es mehr Details zum Boden?
Die Schweiz ist ein kleines Land, Flächen sind rar und begehrt. Rund ein Fünftel des Schweizer Bodens wird heute anders genutzt als noch vor 30 Jahren. Während sich die Siedlungen und der Wald ausdehnen, verliert die Landwirtschaft stetig an Fläche.
Die Siedlungsflächen nehmen aktuell mit 8 Prozent einen kleinen Anteil ein, aber sie wachsen am schnellsten. In den letzten Jahren wurde täglich eine Fläche von gut acht Fussballfeldern überbaut. Darüber hinaus sind 64 Prozent dieser Siedlungsflächen versiegelt.
Versiegelte Böden können verschiedene Ökosystemdienstleistungen nicht mehr erbringen: Sie nehmen kein Regenwasser auf und füllen damit den Grundwasserspiegel nicht auf. Die in ihnen enthaltenen Lebewesen sterben ab, da sie weder Wasser noch Luft erhalten. Der Boden kann seine Kühlungsfunktion nicht mehr ausüben. Die Versiegelung ist nur mit sehr grossem Aufwand rückgängig zu machen.
Einer der grössten Zielkonflikte mit der Biodiversität zeichnet sich damit ab: Landwirtschaft, Siedlungsbau und Biodiversität wollen die gleichen Flächen nutzen. Es erstaunt daher nicht, dass die grössten Defizite in der Biodiversität im Talgebiet verortet sind.
Wie sieht es aus mit den Düngern oder Nährstoffen?
Pflanzen benötigen für ihr Wachstum Licht, Wasser und Nährstoffe. In jeder Ernte stecken jede Menge Nährstoffe, die dem Boden entzogen wurden. Um diese zu ersetzen, braucht es Dünger. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Die häufigsten sind Hofdünger – also Mist und Gülle – Mineraldünger oder Kompost. Gülle und Mist haben den Vorteil, dass sie zu geschlossenen Nährstoffkreiskäufen auf dem Betrieb beitragen und die Bodenqualität verbessern. Sie sind aber weniger standardisiert, als zugekaufte Handelsdünger und es ist schwieriger, die verschiedenen Nährstoffe exakt zu dosieren.
Nährstoffe sind nicht nur für das Wachstum der Pflanzen wichtig. Vielmehr beeinflussen sie auch den Gesundheitszustand der Pflanze oder die Qualität ihrer Früchte. Landwirtinnen und Landwirte bemühen sich um gezielte und bedürfnisgerechte Düngung, indem sie die Nährstoffgabe den Kulturen und Böden anpassen und moderne Technologien einsetzen.
Trotz aller Vorsicht können aufgrund der Wetter- oder Bodenverhältnisse sowie dem spezifischen Bedarf der Kultur Nährstoffe ungenutzt verloren gehen und ausgewaschen werden. Mit dem Absenkpfad Nährstoffe laufen gezielt Massnahmen, um die Nährstoffverluste zu minimieren.
Wenn Böden viele Nährstoffe erhalten, verändert sich die Zusammensetzung und Anzahl der Pflanzenarten, die dort wachsen. Anpassungsfähige Arten breiten sich aus, da sie die vorhandenen Nährstoffe effizienter nutzen können.
Pflanzenarten, die an spezifische Umweltbedingungen (z.B. «magere» Böden mit wenig Nährstoffen, genügend Licht, offene Bodenstellen) gebunden sind, werden verdrängt. Auch bei den Tieren gibt es solche Generalisten und Spezialisten. Mit der schwindenden Artenvielfalt bei den Pflanzen geht also eine schwindende Artenvielfalt bei den Tieren einher.
Kritisiert wird häufig der Pflanzenschutz. Zu Recht?
Pflanzenschutzmittel bezeichnen meist flüssige Mittel, die auf chemisch-synthetischer oder natürlicher Basis Pflanzen vor negativen äusseren Faktoren wie Krankheiten, Schädlinge oder zu viel Unkraut schützen. Sie helfen also unabhängig von der Produktionsart (konventionell, IP-Suisse, Bio Suisse), den Ertrag und Qualität von pflanzlichen Kulturen zu sichern.
Landwirte sind nicht daran interessiert, die Umwelt oder ihre eigenen Produkte mit Rückständen von Pflanzenschutzmittel zu belasten. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass der Verkauf und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die in der biologischen Produktion zugelassen sind, heute mehr als die Hälfte der eingesetzten Mengen ausmachen. Seit 2008 ging der Verkauf der Herbizidmenge um ca. 45% zurück. Stattdessen halten Bauernfamilien die Unkräuter in einigen Kulturen mit Hacken oder Striegeln in Schach.
Gibt es mehr Details zur unterschiedlichen Behandlung von Flächen?
Ja! Biodiversitätsflächen können nützliche Insekten fördern oder Schädlinge in den Kulturen in Schach halten. Gleichzeitig können sich aber in Biodiversitätsförderflächen auch Schädlinge und Krankheiten vermehren, die dann den Einsatz von Pflanzenschutzmittel bedingen. Eine praxisnahe Forschung ist hier gefragt, um den optimalen Nutzen herauszuschälen.
In Hecken vorkommende Pflanzen wie Weissdorne sind Wirtspflanzen für die gefährliche Bakterienkrankheit Feuerbrand. Von dort aus kann die Krankheit auf Obstanlagen überspringen.
Schadorganismen aus nahen Biodiversitätsförderflächen wie Säumen oder Hecken können in Acker-, Futter- oder Gemüseflächen einwandern und Schäden verursachen. Ein gutes Beispiel sind Schnecken, die insbesondere Gemüsekulturen befallen oder der auch für Menschen giftige Mutterkorn-Pilz, der sich in Gräsern auf Biodiversitätsförderflächen und ungemähten Feldrändern entwickeln und anschliessend in angrenzende Getreidekulturen gelangen kann.
Selbst zwischen den Schutzzielen Biodiversität und Bodengesundheit gibt es Konflikte. Pflanzenschutzmittel im Ackerbau kann man teilweise durch maschinelles Striegeln oder Hacken ersetzen. Dies wiederum kann die Bodenstruktur negativ beeinflussen, es kann zu Bodenverdichtungen und Erosion Dabei spülen Wind und/oder Wasser die fruchtbare Bodenschicht weg.
Henrique Schneider